Dauerregen begleitet mich auf der Autofahrt durch Kärnten und Osttirol. Auch in Lienz arbeitet der Scheibenwischer meines Peugeot noch auf Hochtouren. Mir schwant Böses. Diesmal spielt das Wetter bei der Preisverleihung des internationalen Paul Preuss Preises wohl nicht mit. Zumal die Veranstaltung am Helm stattfinden soll, hoch oben über Sexten in den Dolomiten. Die Berge um Lienz sind bereits schneebedeckt. Ohjemine!
Paul-Preuss-Preis geht an Dani Arnold
Text: Horst Jobstraibitzer
Plötzlich aber, nach einer Kurve in Richtung Sillian entdecke ich Blau am sonst wolkenverhangenen Himmel. Tiefblau. Die Wolkendecke scheint wie mit einem Messer abgeschnitten. Ob sich das, bis Sexten ausgeht? Und tatsächlich. Ab Innichen blinzelt die Sonne auf mich herab. Mit jeder Kurve auf den letzten Kilometern wird es schöner. Als ich die Gondeln des Helmexpresses entdecke, ist der Himmel wolkenlos.
Zum fünften Mal bin ich nun eingeladen zum „Weltweit größten Treffen von Spitzenalpinisten und Journalisten“ wie Joe Bachler, der Obmann der internationalen Paul Preuss Gesellschaft, diese Veranstaltung gerne bezeichnet. Und es ist wirklich so – die jährliche Verleihung des Paul Preuss Preises für das Lebenswerk eines verdienten Alpinisten ist ein Treffen von Bergsteigern und Kletterern in einer Dichte, wie es sie sonst auf unserem Planeten kein zweites Mal gibt.
Dass ich unter den rund 100 geladenen Gästen sein darf, habe ich Walter Laserer zu verdanken. Walter, selbst dreimaliger Everestbesteiger ist für die Journalisten zuständig und ein guter Freund aus Jugendtagen. Als Journalist steht mein Name für das Climax Magazine auf der Teilnehmerliste.
Walter begegnet mir bereits am Parkplatz der Talstation und hängt mir, nach herzlicher Umarmung, mein Namenskärtchen um. Die ersten Bekannten tauchen auf. Wolfgang Nairz, Alois Indrich, Gerti Reinisch-Indrich, Maria Kittl. In der Gondel sitze ich Florian Schleimpflug gegenüber. An Gesprächsstoff mangelt es nicht.
Ristorante Monte Elmo
Strahlender Sonnenschein empfängt uns an der Bergstation. Der letzte Schnee wird soeben von der Aussichtsterrasse des Ristorante Monte Elmo geschaufelt und die gipfelwärts ziehenden Nebelfetzen verleihen der Aussicht auf die Sextener Dolomiten eine Schönheit und Gewaltigkeit, die selbst Einheimische nicht allzu oft zu Gesicht bekommen dürften.
Die Organisatoren Hans Helmberger und Fritz Petermüller kommen auf mich zu. „Schön dass du kommen konntest, Horst…äh.. Jobs..trai..bitz..er. Jetzt hab ich´s“ grinst Fritz. „Du hast ja einen langen Namen. Aber jetzt merk ich ihn mir. Bestimmt!“
Überall wohin ich schaue, erkenne ich vertraute Gesichter. Die lange, weiße Mähne von Willi Schwenkmeier, dem Alpinliteraten aus Siegsdorf, der mir in seinem bayerischen Dialekt erzählt, dass er auf der Anreise rasch noch Alexander Huber in „Berchtsgodn“ aufgelesen habe und dass er vom unerwarteten Schönwetter genauso begeistert sei wie ich. „Mei hom mia a Glick mitn Wetta“
Hanspeter Eisendle, der Dolomitenindianer, schüttelt mir die Hand. „Alle heiligen Zeiten begegnen wir uns“ meint er. Ja – zumindest einmal im Jahr. Bei der Paul Preuss Preisverleihung.
Ich hole mir ein Glas Rotwein eines namhaften Südtiroler Weingutes und entdecke Robert Schauer. Robert war der erste Österreicher am Mount Everest und ist seit 1986 Veranstalter des „Mountain Film Festivals“ in Graz. In den 38 Jahren seines Bestehens hat sich das Festival unter den Größten seiner Art weltweit etabliert. Robert habe ich erst eine Woche zuvor bei der Wiedereröffnung der Bärenschützklamm bei Mixnitz im Grazer Bergland getroffen und nun stehen wir uns schon wieder gegenüber. Die Welt ist klein.
Seit 1977, als ich als dreizehnjähriger Bub, meine Begeisterung für die Berge gefunden habe, gibt es kaum ein Bergbuch oder Klettermagazin, das ich nicht verschlungen hätte. Und nun stehe ich inmitten meiner Idole.
Ein Held ist für mich auch unbestritten der Slowake Igor Koller, Erstbegeher des „Weges durch den Fisch“ an der Marmolada Südwand. Igor und ich entdecken uns zeitgleich. Freudiges Händeschütteln und Schulterklopfen. „Wann kommst du endlich einmal ins Grazer Bergland zum Klettern, Igor?“ Igor grinst verschmitzt und zuckt mit den Schultern. „Next year maybe?“
In der Zwischenzeit sind auch Reinhold Messner und Peter Habeler eingetroffen und allmählich machen sich die Gäste auf den kurzen Weg zur stillgelegten Bergstation der Seilbahn, deren Bau zu Messners letztem großen Projekt umgestaltet wird. Innerhalb des nächsten Jahres soll er zu einer Begegnungsstätte für Bergbegeisterte werden. Hier entsteht ein Bereich in dem Werte, die für Reinhold Messner essentiell sind, hinterfragt, vorgetragen und diskutiert werden:
Gefahr, Entschleunigung, Stille, Nachhaltigkeit, Tourismus und Alpinismus.
„Alpinismus“ so die Grundaussage von Reinhold Messners Vortrag, den der 80jährige Jubilar auf der Balustrade stehend hält, (nicht ohne zuvor ein „Happy Birthday Ständchen“ über sich ergehen lassen zu müssen), findet draußen in der noch möglichst unberührten Natur statt. „Der klassische Alpinist geht dorthin, wo er umkommen könnte. Aber er geht dort nicht hin, um umzukommen“.
Messner merkt an, dass der Klettersport, der heutzutage immer mehr in Hallen stattfindet, eine großartige sportliche Betätigung sei – mit dem klassischen Alpinismus aber habe das alles natürlich nichts mehr gemein.
Nach Reinholds kurzer Ansprache, in der er über den Namensgeber der Preisverleihung – Paul Preuss und dessen Maxime „Das Können ist des Dürfens Maß“ zum diesjährigen Preisträger Dani Arnold aus der Schweiz überleitet, begrüßt der Obmann der internationalen Paul Preuss Gesellschaft (IPPG) Joe Bachler offiziell die Gäste. Er verweist auf den internationalen, großen Stellenwert, den die Paul-Preuss-Preisverleihung mittlerweile innehabe und übergibt das Wort bald dem Laudator Alexander Huber.
Laudatio
Alex ist zünftig gekleidet. Mit gamslederner Knickerbocker, Trachtenstutzen, Haferlschuhen und blauer Lodenjoppe. Seine Laudatio hält er abwechselnd in Deutsch und in Englisch. Mitreissend. Klar. Nach wenigen Sätzen hat man das Gefühl, als würde man Dani Arnold, den diesjährigen Preisträger, schon ewig kennen.
Alexander erzählt von seinen Unternehmungen mit Dani Arnold. Speziell von einer gemeinsamen Erstbegehung an der Schweizernase in der Matterhorn Nordwand. Die Linie hatten Beide, unabhängig voneinander, schon geraume Zeit im Hinterkopf. Im März 2017 war es schließlich so weit. Gemeinsam mit dem Fotographen Thomas Senft gelingt ihnen die Neutour durch den steilsten, kältesten und abweisendsten Teil der Nordwand.
Der Preisträger
Anschließend kommt Dani Arnold zu Wort. Der sympathische Schweizer packt sein „allerbestes Hochdeutsch“ aus „zu dem er fähig ist“ wie er selbst grinsend anmerkt.
Seine Free solo Speedrekorde an den großen Nordwänden der Alpen sind letztlich Ergebnisse seines Zugangs zum Klettern sagt er. Er sehe sich nicht primär als Speedkletterer. Sein Verständnis vom Klettern sei vielmehr die Einfachheit, der Purismus analog der Prämisse von Paul Preuss. Deshalb verzichtet er auch auf das vorherige „Auswendiglernen“ von Routen nur um sie anschließend ohne Seil durchsteigen zu können.
Manchmal habe ihm diese Einstellung auch schon Durchstiege beim seilgesicherten Klettern gekostet. Eben weil er darauf verzichtet habe, sich bis ins Detail über die geplante Route zu informieren und er sich für die falsche Variante entschieden hat. Neben seinen großen Touren all over the world nehmen zwei Routen einen besonderen Stellenwert in seinem Leben ein:
Die Free solo Begehung von „Beta Block super“, einer der weltweit schwierigsten Eisrouten der Welt an der Breitwangflue bei Kandersteg und die schottische Mixed Route „The Hurting“ die er als erster „Auswärtiger“ rotpunkt durchsteigen konnte. Auch Dani hält sich kurz und darf den Ehrenpreis, eine kleine Paul Preuss Skulptur vom Siegsdorfer Künstler Walter Angerer d.J. unter den Gratulationen von Reinhold Messner, Joe Bachler und Alexander Huber in Empfang nehmen.
Das Buffet
Der Aufenthalt im kühlen, ungeheizten Rohbau hat die Teilnehmer mittlerweile ordentlich durchfroren und so freuen sich alle auf das gemütliche Zusammensitzen im nahegelegenen „Ristorante Monte Elmo“ wo bereits ein Buffet mit schmackhaften regionalen Häppchen arrangiert wurde. Da hat sich die IPPG wahrlich etwas Feines einfallen lassen und die Kassierin der IPPG, Anita Seebacher musste dafür bestimmt tief in die Tasche greifen.
Ich unterhalte mich lange mit Igor Koller und seiner Frau Edita und wechsle anschließend zum Tisch mit Hans Bergmann, Walter Laserer und Christoph Hainz. Uns verbindet viel Gemeinsames. Gemeinsame Freunde ebenso wie unsere immerwährende Begeisterung für Arco. Viel zu früh ist es an der Zeit, eine der letzten Gondeln ins Tal zu erwischen. Um 17.30 wird die letzte Talfahrt ausgerufen.
Die Besetzung meiner Gondel ist hochkarätig. Jan Mersch, Ales Cesen und der sonst so ruhige Marko Prezelj (Paul Preuss Preisträger 2023) sorgen für Stimmung. Dröhnendes Gelächter begleitet Marko`s Versuche ein Selfie zu machen, auf dem auch wirklich alle Insassen der Gondel zu sehen sind.
„After-Show-Party“
Im Tal angekommen ist es schließlich Zeit für die „After-Show-Party“. In den vergangenen Jahren war der Parkplatz des Messner Mountain Museums auf Schloss Sigmundskron in Bozen Schauplatz dieses ausgelassenen Zusammenseins. Meist ging es bis in die frühen Morgenstunden hoch her und anschließend verkrümelte man sich direkt am Ort des Geschehens in den Schlafsack.
In Sexten war es für ein stundenlanges Zusammensitzen im Freien schlichtweg zu ungemütlich. Joe Bachler aber hatte vorgesorgt, im nahe dem Parkplatz gelegenen Restaurant Riega reserviert und das so gemütliche Zusammensein vom Helmrestaurant kann beinahe übergangslos weitergeführt werden. Ich lerne Ernst Dullnig aus Mariazell kennen und wir stellen fest, dass wir beinahe dieselbe Anreise hatten. „Im nächsten Jahr fahren wir aber gemeinsam – ausgemacht!“
Billi Bierling sitzt mit am Tisch. Die sechsfache Achttausenderbezwingerin und Nachfolgerin von Elizabeth Hawley als Chronistin des Himalayabergsteigens in Kathmandu begeistert mich mit ihrer positiven Ausstrahlung und ihrer guten Laune.
Zu späterer Stunde gesellt sich der als „blind climber“ bekannte Osttiroler Andy Holzer zu uns. „Horst – wer bist du? Woher kommst du? Ich will alles wissen. Sehen kann ich dich ja nicht!“ Verblüfft stellen wir beide fest, dass uns so einiges verbindet. Gemeinsame Freunde ebenso wie Kletterrouten.
Immer wieder verabschieden sich Fahrgemeinschaften, die am selben Abend noch nach Hause wollen nur um letztlich doch hängenzubleiben und eine Stunde später immer noch an einem der Tische zu sitzen.
Selbst Reinhold Messner ist zu vorgerückter Stunde noch in angeregten Gesprächen vertieft. Schließlich beginnen sich aber doch die Tische zu leeren und ein wunderbarer Nachmittag und Abend gehen zu Ende.
Ich bin unter den letzten Gästen die das Restaurant, gemeinsam mit Robert Schauer und Walter Laserer verlassen. Während meine Begleiter sich rechtzeitig ein Hotelzimmer gebucht hatten, steht mir ein, der Veranstaltung gerechtwerdendes, Biwak im Auto bevor.
Als ich mich wenig später am Beifahrersitz in meinem Schlafsack zusammenfalte, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass es Dani und Alex in der Matterhorn Nordwand bestimmt noch um einiges ungemütlicher hatten.